[525] Röntgenstrahlen. Bei Versuchen mit Kathodenstrahlen (s. Kathodenlicht, Bd. 5, S. 410) entdeckte 1895 W.C. Röntgen, damals Professor an der Universität Würzburg, daß von einer bestimmten Stelle der Glaswand des evakuierten Rohres eine neue, von ihm X-Strahlen genannte Strahlung ausgeht, daran erkennbar, daß ein Baryumplatincyanür-Schirm im verdunkelten Zimmer aufleuchtet, sobald er in die Nähe des Entladungsrohres gebracht wird (vgl. a. Bd. 7, S. 449).
1. Eigenschaften der Röntgenstrahlen. In seinen drei grundlegenden Abhandlungen hat Röntgen folgende Eigenschaften der neuen Strahlung beschrieben: 1. Röntgenstrahlen entstehen, wenn Kathodenstrahlen auf einen selten Körper auftreffen; da an der Auftreffstelle eine starke Wärmeentwicklung stattfindet, so sind schwer schmelzbare Metalle (Platin) hierfür besser geeignet als leichte Metalle, wie z.B. Aluminium. Fig. 1 zeigt die Einzelheiten einer Röntgenröhre. Bei a und b wird der negative bezw. positive Pol der Sekundärspule eines Induktors angelegt, a heißt Kathode, b Anode. Die von a ausgesandten Kathodenstrahlen treffen auf ein unter 45° geneigtes Platinblech (sogenannte Antikathode) und veranlassen hier die Entstehung von Röntgenstrahlen. Die Kathodenstrahlen können, weil ihre Emissionsrichtung stets senkrecht zur Oberfläche der Kathode ist, dadurch, daß man der Kathode eine hohlspiegelförmige Gestalt gibt, auf eine kleine Stelle der Antikathode konzentriert werden. 2. Die Röntgenstrahlen breiten sich geradlinig aus; weder Reflexion noch Brechung konnte nachgewiesen werden. 3. Außerordentlich großes Durchdringungsvermögen; die verschiedenen Stoffe besitzen je nach ihrer chemischen Beschaffenheit eine verschieden große Durchlässigkeit. Näheres s. unten im Abschnitt 3 (Absorption). Das Durchdringungsvermögen der Strahlen nimmt zu, wenn der Gasgehalt der Röhre abnimmt und infolgedessen die Spannung neigt. 4. Keine Ablenkung im Magnetfeld (im Gegensatz zu den Kathodenstrahlen). 5. Chemische Wirkungen: Die Bromsilberschicht der photographischen Platte wird von Röntgenstrahlen in gleicher Weise beeinflußt wie von Lichtstrahlen. Die bestrahlten Stellen der Platte zeigen nach der Entwicklung eine mit zunehmender Belichtungsdauer intensiver werdende Schwärzung. 6. Fluoreszenzerregung: Manche chemische Stoffe senden, wenn sie von Röntgenstrahlen getroffen werden, ein dem Auge sichtbares Fluoreszenzlicht aus; z.B. grünes Licht bei Baryumplatincyanür. 7. Luft und andere Gase, die im gewöhnlichen Zustand Nichtleiter der Elektrizität sind, erhalten durch Bestrahlung mit Röntgenstrahlen eine Leitfähigkeit; sie werden »ionisiert«. 8. Bei jedem Durchgang durch Materie wird ein Teil der Röntgenstrahlen nach allen Richtungen diffus zerstreut, ein Vorgang, ähnlich dem der Zerstreuung des Lichts in trüben Medien (z.B. Nebel).
Von den durch andere Forscher später entdeckten Eigenschaften der Röntgenstrahlen sind die wichtigsten: die Sekundärstrahlung, die Wärmewirkung und die Beugung in Kristallraumgittern.
Jeder von Röntgenstrahlen getroffene Stoff wird selbst wieder zur Quelle einer neuen Strahlung, sobald die auftreffenden Röntgenstrahlen ein bestimmtes, für jeden Stoff verschiedenes Durchdringungsvermögen besitzen. Das Durchdringungsvermögen der neuen Röntgenstrahlung ist ein anderes als das der erregenden und ist charakteristisch für die chemische Beschaffenheit des Stoffes; daher die Bezeichnung charakteristische Sekundärstrahlung, auch Eigenstrahlung oder in Analogie zu einem optischen Vorgang Fluoreszenz-Röntgenstrahlung genannt. Gleichzeitig entsteht noch eine zweite Sekundärstrahlung, aber von ganz anderer Natur, nämlich eine sekundäre Kathodenstrahlung, d.h. eine Emission einer großen Anzahl von Elektronen.
Die Wärmewirkung der Röntgenstrahlen kommt dadurch zustande, daß ein Teil der in einem bestrahlten Stoff absorbierten Röntgenstrahlenenergie in Wärmeenergie verwandelt wird; infolgedessen nimmt die Temperatur des betreffenden Stoffes zu. Die Temperaturerhöhung ist aber so gering, daß sie nur mit Hilfe sehr empfindlicher Meßmethoden (Bolometer, Thermosäule, i Radiometer) nachgewiesen werden kann.[525]
2. Die Natur der Röntgenstrahlen. Die Frage nach der Natur der Röntgenstrahlen ist trotz zahlreicher Untersuchungen lange unbeantwortet geblieben. Gegen die Annahme einer korpuskularen Natur sprach das Fehlen der Ablenkbarkeit im Magnetfeld. Andererseits konnte der Nachweis einer Beugung lange nicht erbracht werden, bis Laue, Friedrich und Knipping 1912 die Entdeckung machten, daß Röntgenstrahlen beim Durchgang durch einen Kristall eine Beugung erleiden. Geradeso wie die geradlinige Fortpflanzung des Lichtes durch einen sehr engen Spalt gestört wird (optische Beugung am Spalt), so wird die geradlinige Ausbreitung der Röntgenstrahlen teilweise aufgehoben durch die Beugungswirkung der in gesetzmäßiger Weise angeordneten Atome eines Kristalls. Auf einer hinter dem Kristall aufgestellten photographischen Platte finden sich dann außer den dicken Schwärzungsflecken des direkt hindurchgegangenen Strahles eine Reihe von mehr oder weniger intensiven Schwärzungsflecken, die von den durch Beugung aus der geradlinigen Fortpflanzungsrichtung abgelenkten Strahlen herrühren. Fig. 2a und 2b zeigen solche Kristallaufnahmen von Flußspat (Fig. 2b) und Sylvin (Fig. 2a). Das Aussehen der Aufnahmen, d.h. Zahl und Lage der Schwärzungsflecken, hängt 1. von der Orientierung des Kristalls gegenüber den auftreffenden Röntgenstrahlen ab und 2. von der Art der Anordnung der Atome im Kristall. Da der erstere Faktor leicht experimentell ermittelt werden kann, so liefert eine Berechnung der Lage der Schwärzungsflecken auf Grund der Beugungstheorie wichtige Aufschlüsse über das Raumgitter des Kristalls, d.h. über die Kristallstruktur.
Die Entdeckung dieses Beugungseffektes ist auch in physikalischer Hinsicht von größter Bedeutung. Es ist damit bewiesen, daß die Röntgenstrahlen ebenso wie die Lichtstrahlen elektromagnetische Schwingungen sind. Gleichzeitig war damit die Möglichkeit gegeben, mit Hilfe von Kristallen ein Spektrum der Röntgenstrahlen zu erzeugen und die Größe ihrer Wellenlänge zu messen. Solche Apparate heißen Röntgenspektrometer. Von den optischen Spektralapparaten unterscheiden sie sich dadurch, daß an Stelle des Prismas hier ein Kristall tritt und daß keinerlei Linsen zur Konzentration der Strahlen benutzt werden können. (Röntgenstrahlen sind nicht brechbar!) Im allgemeinen haben diese Röntgenspektren ähnliches Aussehen wie die optischen Spektren; dagegen zeigen sie viel einfachere Gesetzmäßigkeiten als diese. Die wichtigsten Spektrallinien jedes Elementes können mit Hilfe einfacher Formeln aus einer für das chemische Verhalten des betreffenden Elementes charakteristischen Zahl, der Atomzahl (s.d.) berechnet werden. Durch systematische Erforschung der Röntgenspektren der Elemente wurden wertvolle Aufschlüsse über die Konstitution der Atome (s. Atombau) gewonnen.
Die Messung der Wellenlängen der Röntgenstrahlen ergibt nun folgendes: Während der optisch sichtbare Teil des Spektrums sich von etwa 40008000 AE. (s. Angström) erstreckt, liegen die Wellenlängen der von einer technischen Röntgenröhre ausgesandten Strahlung etwa zwischen 0,1 und 1,0 AE. Die großen Unterschiede zwischen den Eigenschaften der Lichtstrahlen und denen der Röntgenstrahlen sind ohne weiteres verständlich, wenn man bedenkt, daß die Wellenlängen der letzteren etwa 1/10000 mal kleiner sind. Wie in der Optik die Verschiedenheit der Farbe des Lichtes physikalisch bedingt ist durch die Größe der Wellenlänge, so entspricht auf dem Gebiet der Röntgenstrahlen der Verschiedenheit der Wellenlängen eine Verschiedenheit des Durchdringungsvermögens. Die Röntgenstrahlen haben im allgemeinen um so größeres Durchdringungsvermögen, »Härte«, je kürzer die Wellenlänge ist. Harte Strahlen heißen die sehr durchdringungsfähigen, weiche die leicht absorbierbaren Röntgenstrahlen. Die in einer Horizontalreihe stehenden Bezeichnungen bedeuten also das gleiche:
hart, sehr durchdringungsfähig, geringe Absorption, kurzweilig;
weich, wenig durchdringungsfähig, starke Absorption, langwellig.[526]
In Analogie zu der Beobachtung, daß das am häufigsten vorkommende Licht, das weiße Licht, aus Licht verschiedener Farbe zusammengesetzt ist, erweist sich die von einer Röntgenröhre ausgesandte Strahlung als eine Mischung von Strahlen mit verschiedenem Durchdringungsvermögen. Man nennt eine solche Strahlung heterogen im Gegensatz zu einer homogenen Strahlung, welche aus Strahlen mit gleichem Durchdringungsvermögen besteht.
3. Absorption der Röntgenstrahlen. Die verschieden starke Absorption der Röntgenstrahlen in den verschiedenen Stoffen bildet die Grundlage der medizinischen Röntgendiagnostik, d.h. der Anwendung der Röntgenstrahlen zur Erkennung von Krankheiten, Knochenbrüchen u.s.w. Die Knochen absorbieren stärker als die Muskulatur, so daß auf einer lichtdicht verpackten photographischen Platte nach der Entwicklung ein Schattenbild des Körperbaues entsteht. Die Darstellung geringer Unterschiede im Absorptionsvermögen, z.B. Struktur der Knochen, erfordert die Verwendung einer Strahlung von einem bestimmten Durchdringungsvermögen. Für die verschiedenen Arten von medizinischen Röntgenaufnahmen braucht man daher eine ganze Anzahl von Röhren mit verschiedenem Gasgehalt und dementsprechend verschiedenem Durchdringungsvermögen der erzeugten Strahlung.
Wird die Intensität J0 einer homogenen Röntgenstrahlung durch Einschalten eines absorbierenden Mediums von der Dicke D cm auf den Betrag J geschwächt, so ergibt sich der Absorptionskoeffizient μ aus der Gleichung J = J0eμ d. Bei Verwendung sehr harter Strahlen erreicht der Intensitätsverlust durch Zerstreuung eine merkliche Größe und muß durch Hinzufügen des Faktors es d berücksichtigt werden. Auf Grund der neueren Forschungen [7] ergibt sich eine einfache Gesetzmäßigkeit zwischen zwei für jedes chemische Element charakteristischen Größen (Atomzahl Z und Dichte ς) und dem Absorptionskoeffizienten μ.
4. Die technische Erzeugung der Röntgenstrahlen. Die gewöhnlichen Röntgenröhren, deren Vakuum etwa 1/1000 mm Quecksilberdruck beträgt, besitzen den großen Nachteil, daß der Gasgehalt der Röhre sich von selbst ändert, je nach Alter und Beanspruchung derselben (Ursache: Okkludierte Gase der Metallteile der Röhre). Da die Spannung vom Gasgehalt abhängt, so ist das Durchdringungsvermögen der von einer Röhre ausgesandten Strahlung zu verschiedenen Zeiten ein sehr verschiedenes. Steigt der Gasgehalt, so wird die Röhre »weicher«, im umgekehrten Fall wird sie »härter«. Ein Härterwerden der Röhre kann mit Hilfe der sogenannten Regeneriervorrichtung dadurch wieder beseitigt werden, daß durch Zufuhr kleiner Gasmengen der Gasgehalt erhöht wird. Viel benutzt wird die Osmoregenerierung: ein in die Glaswand der Röhre eingeschmolzenes Palladiumröhrchen, das bei Zimmertemperatur kein Gas (Luft) in das Innere hindurchdiffundieren läßt, wird mit Hilfe einer Leuchtgasflamme bis zur Rotglut erhitzt, so daß durch Diffusion in dem glühenden Palladium geringe Gasmengen in die Röntgenröhre gelangen können. Dagegen gibt es kein brauchbares Mittel, um eine zu weich gewordene Röhre zu härten. Von diesen beiden Nachteilen, daß je nach dem gewünschten Durchdringungsvermögen der Strahlung verschiedene Röhren angewendet werden müssen und daß die Qualität der von einer Röhre gelieferten Strahlung zeitlich nicht konstant ist, sind die neuen sogenannten Elektronenröhren frei. Pumpt man eine Glasröhre so weit aus, als dies mit den modernen Luftpumpen möglich ist, so geht beim Anlegen der Hochspannung an die beiden Elektroden kein Strom durch die Röhre hindurch. Erhitzt man die Kathode auf elektrischem Wege, dann werden an dieser heißen Kathode beim Anlegen der Hochspannung eine große Zahl von Elektronen emittiert. Im Hinblick auf die besonderen Eigentümlichkeiten der Kathodenstrahlenerzeugung werden diese Röntgenröhren häufig Glühkathodenröhren oder gasfreie Röntgenröhren genannt. Das Vakuum der Röhre ist so nieder, daß eine geringe Aenderung des Gasgehaltes die Entladungsvorgänge nicht beeinflußt. Spannung und Stromstärke hängen nur von der Schaltung des Röntgenapparates ab. Da nun die Größe der Spannung für das Durchdringungsvermögen der Röntgenstrahlen und die Größe der Stromstärke für die Strahlungsintensität maßgebend ist, so ist damit die Möglichkeit geboten,[527] mit einer Röhre Strahlen von beliebigem Durchdringungsvermögen und beliebiger Intensität zu erzeugen; ferner wird bei gleicher Schaltung des Röntgenapparates zu verschiedenen Zeiten stets die gleiche Strahlung erhalten.
Die Elektronen-Röntgenröhren (gasfreie Röntgenröhren) werden in zwei verschiedenen Ausführungsformen gebaut. Bei der Coolidgeröhre besteht die Kathode aus einer Wolframdrahtspirale, deren beide Enden in die Glaswand eingeschmolzen sind und die Zufuhr des zur Erhitzung dienenden Stromes vermitteln (s. Fig. 3). Zur Erzeugung dieses Heizstromes kann eine isoliert aufgestellte Akkumulatorenbatterie oder ein Transformator (Fig. 3) verwandt werden. Durch eine Aenderung der Heizstromstärke wird die Temperatur der Glühkathode und damit die Zahl der ausgesandten Elektronen, also die Intensität der Röntgenstrahlen geändert. Eine vor der Heizkathode angebrachte lochförmige Metallblende dient dazu, den Querschnitt des Kathodenstrahlbündels einzuengen, um einen scharfen Brennfleck auf der Antikathode zu erhalten. Durch Regulierung der Sekundärspannung des Hochspannungstransformators (z.B. durch Aenderung des Transformationsverhältnisses) kann die Kathodenstrahlgeschwindigkeit, also die Härte der Röntgenstrahlen beliebig eingestellt werden.
Bei der Lilienfeldröhre werden die Elektronen mit Hilfe des sehr kräftig gebauten Glühfadens S erzeugt (s. Fig. 4). Ein von der Größe der zwischen K und S angelegten Hilfsspannung abhängiger Bruchteil der Anzahl dieser Elektronen dringt durch den hohlen Kanal der Arbeitskathode K und bewirkt an den Rändern der Oeffnung die Auslösung neuer Elektronen, welche durch die zwischen A und K angelegte Hochspannung beschleunigt werden und beim Auftreffen auf die Antikathode K die Entstehung von Röntgenstrahlen veranlassen. Im Gegensatz zu der Coolidgeröhre wird die Temperatur des Glühfadens nicht geändert. Die Regulierung der Strahlungsintensität geschieht durch Aenderung der Hilfsspannung G K. Wird die Lilienfeldröhre mit einem Induktor oder Transformator betrieben, dessen Uebersetzungsverhältnis nicht geändert werden kann, so wird eine Regulierung der Spannung durch Einschalten variabler großer Widerstände, bestehend aus graphitierten Glasstäben, bewirkt. Die aus Fig. 4 ersichtliche Wasserkühlung dient zur Abführung der durch den Aufprall der Kathodenstrahlen auf die Antikathode entstehenden Wärme. Die eigentümliche Form der Röhre ergibt sich aus dem Bestreben, zwecks Verminderung der Durchschlagsgefahr des Glases die Glaswände möglichst dem Verlauf der elektrischen Kraftlinien anzupassen.
Zur Erzeugung des für Röntgenröhren erforderlichen hochgespannten Gleichstroms werden entweder Induktoren mit einem Unterbrecher im Primärkreis oder sogenannte Hochspannungsgleichrichter benutzt. Die Unterbrecher sind in den letzten Jahren sehr vervollkommnet worden. Für langdauernden Betrieb (Röntgentherapie) ist der sogenannte Gasunterbrecher sehr gut geeignet. In einem allseitig verschlossenen und mit Leuchtgas gefüllten metallischen Gehäuse rotiert eine elektromotorisch angetriebene vertikale Achse, welche innen hohl ist und einen seitlichen Queransatz trägt. An ihrem unteren Ende besitzt sie eine schräggestellte, schaufelförmige Fläche. Aehnlich der Wirkungsweise einer Turbine wird bei der Rotation das am Boden des Gehäuses befindliche Quecksilber in der hohlen Achse emporgehoben und durch den seitlichen Ansatz angespritzt. Die Stromunterbrechungen kommen dadurch zustande, daß der Quecksilberstrahl abwechselnd auf leitende und nichtleitende Segmente auftrifft. Die Glühkathodenröhren besitzen, solange ihre Antikathode kalt bleibt, die Eigenschaft, Stromstöße nur in einer Richtung hindurchzulassen und können daher mit Wechselstrom betrieben werden (s. Fig. 3). Im allgemeinen zieht man es vor, die Glühkathodenröhren ebenso zu betreiben wie die gashaltigen Röntgenröhren, nämlich mit dem Sekundärstrom eines Induktors, bei dem die verkehrten Stromstöße, der sogenannte Schließungsstrom, durch Funkenstrecken oder Ventilröhren[528] abgedrosselt werden. Ganz frei von Schließungsstrom ist der Hochspannungsgleichrichter (s. Fig. 5), ein Apparat, der besonders für die Bedürfnisse der Röntgentechnik geschaffen wurde. Der hochgespannte Wechselstrom der Sekundärspule eines technischen Transformators wird über einen im Tempo des Wechselstroms rotierenden Umschalter geleitet, so daß die Stromstöße durch die Röntgenröhre immer in gleicher Weise erfolgen. Für die Röntgenphotographie rasch bewegter Organe (z.B. des Herzens) ist die Erzeugung sehr intensiver Ströme von kurzer Zeitdauer erforderlich. Nach dem Induktionsgesetz ist die Sekundärstromstärke proportional der Geschwindigkeit des Unterbrechungsvorgangs im Primärkreis. Eine sehr rasche Stromunterbrechung liefert z.B. das explosionsartige Durchbrennen einer Sicherung (Prinzip des »Blitzapparates« der Veifa-Werke). Eine erhebliche Abkürzung der Expositionszeit wird durch die Verwendung von Verstärkungsschirmen ermöglicht; auf die Schichtseite der photographischen Platte werden Pappschirme aufgelegt, die mit einer dünnen Schicht eines unter der Einwirkung der Röntgenstrahlen fluoreszierenden Stoffes bestrichen sind.
Für die in den letzten Jahren sehr erfolgreiche Strahlenbehandlung der Krankheiten kommen hauptsächlich die sehr durchdringungsfähigen Röntgenstrahlen in Betracht. Da sich in vielen Fällen die γ-Strahlen des Radiums als noch wirksamer erwiesen haben, so bildet die künstliche Herstellung der γ-Strahlen das Hauptziel der modernen Röntgentechnik. Durch Wellenlängenmessungen ist festgestellt worden, daß die γ-Strahlen nichts anderes sind als Röntgenstrahlen von sehr kurzen Wellenlängen. Die Hauptschwierigkeit bei der Erzeugung ganz kurzwelliger Röntgenstrahlen besteht in der betriebssicheren Herstellung der erforderlichen hohen Spannungen. In dieser Hinsicht bedeutet der Dessauer-Transformator [8], bei dem die Isolationsbeanspruchung nur einen Bruchteil der maximalen Spannung beträgt, einen großen Fortschritt, a und b sind die Enden der Sekundärspule; während die eigentliche Spannungstransformation durch die Transformatoren T1 und T2 besorgt wird, dienen die Hilfstransformatoren H1 und H2 (Transformationsverhältnis 1 : 1) dazu, die Isolationsbeanspruchung herabzusetzen. Wird bei e geerdet und jeweils die Mitte der Primär- und Sekundärspule von T1 und T2, leitend verbunden, so beträgt bei der in Fig. 6 gezeichneten Schaltung die Isolationsbeanspruchung nur ein Viertel der Spannung zwischen a und b. Mit Benutzung eines in ähnlicher Weise gebauten Transformators hat Dessauer [9] kürzlich Röntgenstrahlen erzeugt, deren Wellenlängen noch kürzer sind als die der γ-Strahlung der radioaktiven Stoffe.
5. Die Messung der Röntgenstrahlen. Bei homogenen Röntgenstrahlen handelt es sich 1. um die Messung der Intensität J und 2. um die Bestimmung des Absorptionskoeffizienten μ oder der Wellenlänge λ (μ und λ sind durch das Absorptionsgesetz miteinander verknüpft). Die am häufigsten benutzte Methode der Intensitätsmessung beruht auf der Ionisationswirkung der Röntgenstrahlen. Bei einem Intensitätsvergleich zweier Strahlungen mit verschiedenem μ ist zu beachten, daß der, meist elektrometrisch gemessene Ionisationsstrom nicht zu J, sondern zu μ J proportional ist. Die Messung der Wellenlänge λ erfolgt durch Bestimmung des Beugungswinkels, der beim Durchgang der Strahlen durch ein Kristallraumgitter von berechenbarer Dimension auftritt. Betreffs Messung von μ wird auf den Abschnitt 3, Absorption der Röntgenstrahlen, verwiesen. Bei der überwiegenden Mehrzahl der technischen Röntgenstrahlungen handelt es sich um Strahlengemische; hier ist das Meßproblem viel komplizierter. Es ist zu[529] untersuchen, 1. welche Wellenlängen in der Strahlung vorkommen, und 2. in welcher Intensität die einzelnen Wellenlängen auftreten. Die Voraussetzung einer solchen Untersuchung ist die Zerlegung des Strahlengemisches in seine Bestandteile. Am vollkommensten wird diese Aufgabe vom Röntgenspektrometer (vgl. 2. Abschnitt) gelöst. Eine einfache und daher für technische Zwecke besser geeignete Methode ist die Strahlenanalyse auf Grund des Sekundärstrahlungsprinzips [10]. Als Resultat ergeben sich drei Zahlen, welche Intensität und Zusammensetzung jeder Röntgenstrahlung in technisch eindeutiger Weise angeben (Intensität der weichen, mittelharten und sehr harten Strahlungsgruppe). Diese Methode ermöglicht gleichzeitig eine einfache Klassifikation der Röntgenstrahlungen durch Angabe dieser drei Zahlen (bezogen auf die Intensität der mittelharten Strahlungsgruppe als Einheit), sogenannter Strahlungstypus. Die Einführung dieses Begriffes bietet den Vorteil, daß die Bezeichnung der Strahlung sofort über ihre Verwendbarkeit für bestimmte Zwecke Aufschluß gibt. Die Strahlung vom Typus 1,3 : 1 : 0,2 ist z.B. für Lungenaufnahmen gut geeignet, während der Typus 0,7 : 1 : 0,8 für Diagnostik überhaupt nicht in Betracht kommt. Der relativ große Gehalt an sehr harten Strahlen (dritte Zahl der Proportion) läßt erkennen, daß dieser Typus dagegen für Therapie sehr günstig ist.
Literatur: I. Zusammenfassende Darstellungen der physikalischen Probleme: [1] Handbuch der Radiologie, 5. Bd., E. Marx, Röntgenstrahlen, Leipzig 1919. [2] R. Pohl, Die Physik der Röntgenstrahlen, Braunschweig 1912. II. Zusammenfassende Darstellungen der technischen und medizinischen Probleme: [3] Albers-Schönberg, Die Röntgentechnik, 5. Aufl., Hamburg 1919. [4] Dessauer-Wiesner, Leitfaden des Röntgenverfahrens, 5. Aufl., Leipzig 1916. [5] Gocht, Handbuch der Röntgenlehre, 5. Aufl., Stuttgart 1918. [6] Rieder u. Rosenthal, Lehrbuch der Röntgenkunde, Leipzig 1913. III. Veröffentlichungen in Zeitschriften: [7] Glocker, Absorptionsgesetze für Röntgenstrahlen, Physikal. Zeitschr., XIX, 66, 1918. [8] Dessauer, Ueber einen neuen Hochspannungstransformator, Verhandl. d. Deutsch. Physikal. Gesellsch., XIX, Heft 17/18, 1917. [9] Dessauer-Back, Ueber Röntgenstrahlenerregung mit sehr hohen Spannungen, Verhandl. d. Deutsch. Physikal. Gesellsch., XXI, Heft 9/10, 1919. [10] Glocker, Ueber eine neue Meßmethode zur Untersuchung der Zusammensetzung von Röntgenstrahlungen; Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen, XXVI, Heft 4, 1919.
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